Klimastreik am 25.3.2022

Die erst vor wenigen Wochen gegründete Ortsgruppe von Fridays for Future in Lingen präsentierte sich mit einem Demostrationszug durch die Stadt und mit einer engagierten Rede und Schweigeminute für die Ukraineopfer. U.a. "waslosin Lingen" berichten:
https://www.waslosin.de/erste-fridays-for-futur...

Für alle, die nicht dabei waren hier der Redebeitrag:

"Hallo Lingen,
wir sind Jeremy und Kristin und freuen uns im Namen der Fridays for Future Ortsgruppe Lingen heute diese Rede halten zu dürfen. Wahnsinn, dass so viele von euch heute hier sind! Wie wir alle wissen, ist die Klimakrise immer und überall präsent – auch in Deutschland! Wir alle erleben und spüren die Auswirkungen des Klimawandels unmittelbar, mit Düren, Hitzeperioden, Ernteausfällen, Stürmen und vermindertem Niederschlag.
Der Klimawandel ist zu einer weltweiten Krise geworden, zu der Deutschland nicht gerade wenig beigetragen hat, als Industrieland, als ehemalige Kolonialmacht.
Deswegen dürfen wir uns nicht bequem zurücklegen und denken, dass unsere Regierung alles regeln wird. In den letzten Jahren hat sie nämlich bewiesen, dass wir uns in Sachen Klimakrise nicht auf sie verlassen können!
Der Klimawandel ist eine weltweite Krise, genauso wie es Corona ist! Während der Pandemie hat die Bundesregierung gezeigt, dass in Deutschland durchaus Maßnahmen ergriffen werden können, die eine Krise eindämmen.
Warum behandelt ihr den Klimawandel also wie ein bockiges Kleinkind? Warum nehmt ihr neue Krisen zum Anlass, um andere Krisen aus eurer selektiven Wahrnehmung auszuschließen?
Der Klimawandel ist eine weltweite Krise, der Klimawandel ist Realität. Krisen erfordern Handlungen. Wir haben Politiker:innen gewählt, um zu handeln. Wenn die aber mit Krisen nicht zurechtkommen, warum redet man dann nicht mit Expert:innen? Warum hört man dann nicht auf diese? Seit Jahren ist die Aussage der Wissenschaftler:innen eindeutig: Das Weltklima erhitzt sich, Jahrzehnt für Jahrzehnt. Die Risiken durch die Klimakrise für Menschen und Ökosystemen nehmen weltweit rapide zu. Anfang 2022 hat der Weltklimarat IPCC seinen zweiten Teil des sechsten Sachstandsbericht vorgestellt. Die Zusammenfassung lautet: „Ein weiteres Aufschieben von Klimaschutz bedeutet den Tod. Nur konsequenter Klimaschutz und Klimaanpassungsmaßnahmen können die Risiken noch verringern.“
Heute ist der zehnte globale Klimastreik. Seit drei Jahren gehen wir auf die Straße. Wir fordern das ein, was Wissenschaftler:innen schon seit Jahren wissen und kundgeben. Wir fordern eine Klimapolitik, die heute und hier Verantwortung übernehmen muss. Wir fordern eine Klimapolitik, die endlich Wissenschaftler:innen ernst nimmt, damit Wünsche und Träume einer gesamten noch ungeborenen Generation in Erfüllung gehen können. Deswegen standen und stehen wir heute wieder auf den Straßen und fordern eine radikale Energiewende, damit Abhängigkeiten nicht weiter Krisen befeuern. Wir fordern einen Importstopp und das Schließen der Gaslücke. Wir wissen das Transformationen nicht von heute auf morgen funktionieren, umso wichtiger ist es jetzt entschlossen die notwendigen Veränderungen anzugehen und umzusetzen. Wir sind Fridays for Future. Wir sind laut. Wir bleiben laut!

Wir stehen hier inmitten eines Jahrzehnts der Krisen, wir leben in einer Gesellschaft, die nicht zur Ruhe kommt und erleben eine Politik die auf Sicht fährt – auch deshalb, weil die Entwicklungen des nächsten Monats oder gar der nächsten Woche unberechenbar erscheinen: Was ist Putins nächster Schritt, wie hoch stehen die Inzidenzen? Doch in einer Krise ist die Entwicklung vollkommen klar: Das CO2-Budget wird kleiner und kleiner. Und gerade deshalb ist es – bestenfalls – erstaunlich, dass gerade in dieser Krise, der Klimakrise, so lange auf Zeit gespielt wurde. So lange, dass wir hier wieder stehen müssen und die Gesellschaft eben nicht zur Ruhe kommen darf. Wir erwarten, dass in dieser Krise mindestens so entschlossene Maßnahmen ergriffen werden, wie gegen Corona, und diese mindestens so schnell erfolgen, wie die militärische Zeitenwende unter den aktuellen Eindrücken möglich war. Treat every crisis like a crisis!
Es ist gut, dass der Klimaschutzfonds gefüllt worden ist und weitere Mittel erhalten soll. Aber eines wird doch immer deutlicher: Wenn für die Bewältigung der Corona-Krise hunderte Milliarden Euro Schulden aufgenommen werden konnten und selbst die Bundeswehr ein sog. Sondervermögen bekommen soll - für den Klimaschutz aber nur dann Geld da ist, wenn entweder Corona-Gelder umgewidmet werden oder der Haushalt „kreativ“ geführt wird, stimmt etwas nicht. Klimaschutz statt Schuldenbremse! Klimainvestitionen sind keine Ideologie, die Schwarze Null ist eine!
Noch vor einem Jahr war das Herzstück neuer Klimaschutz-Diskussionen die Anhebung des CO2-Preises. Jetzt diskutiert Deutschland über einen Tankrabatt. Ernsthaft?! Wenn fossile Energien uns von Diktaturen abhängig und die Menschen in Deutschland ärmer machen, kann die Antwort doch nicht sein, Mineralölkonzerne auf Kosten der Allgemeinheit noch weiter zu subventionieren! Wir wissen längst, dass hier nicht etwa kriegsbedingte Kosten an die Kund:innen weitergegeben, sondern die Margen der Konzerne erhöht werden. Wenn die Ölkonzerne ihre Marktmacht ausnutzen und sich die Taschen vollmachen wollen, heißt es erst Recht: Macht die Menschen unabhängiger von Individualverkehr! Mobilitätsgarantie, ticketloser ÖPNV und ein flexibel nutzbares Energiegeld für alle, jetzt! Wir sagen: People not profit!
Seit dem Kriegsbeginn nennen selbst Marktliberale die Erneuerbare Energien „Freiheitsenergien“. Doch noch immer kommt der Ausbau der gemeinsamen Lösung für Klima- und Russlandkrise nicht nennenswert voran. Stattdessen erleben wir, dass Konservative im Bund und insbesondere der Ministerpräsident in Bayern die Chance wittern, Atomkraft am Leben zu halten. Gerade die bayerische Staatsregierung, die mit absurden Abstandsflächen und der Verhinderung von Stromleitungen die Energiewende aktiv ausbremst, agiert hier sehr durchsichtig. Analysen zeigen, dass ein Revival der Atomkraftwerke kurzfristig kaum machbar ist, mittelfristig nur in Konkurrenz zu Erneuerbaren Energien steht, da sie sich nicht flexibel hoch- und runterschalten lassen, und langfristig extreme Kosten verursachen würde. Liebe Konservative: Nicht der Ausbau der Erneuerbaren ist Ideologie, die Mumifizierung der Atomkraft ist eine!
Letztes Jahr mahnte uns das Bundesverfassungsgericht, die Bemühungen seien für das Erreichen des Pariser Klimaabkommens nicht genug. Das Bundesklimaschutzgesetz wurde daraufhin – unzureichend – überarbeitet und auch die Landesregierung kündigte an: Wir schärfen nach. Denn das Landesklimaschutzgesetz, mit dem sich die Niedersächsische GroKo selbst als Vorreiterin im Klimaschutz ernannte, wurde damit nicht einmal ein halbes Jahr nach Verabschiedung von der Realität eingeholt und blieb selbst hinter den Zielen des Bundes zurück. Doch noch immer ist nichts geschehen, wir fragen deshalb: Hey GroKo, wo bleibt das neue Niedersächsische Klimaschutzgesetz?
Die Einsicht, dass zu wenig geschehen ist, begrüßen wir. Aber unsere Bilanz der letzten Monate heißt daher: Reicht halt nicht! Das ist der Grund, weshalb wir als Gesellschaft Euch in den Parlamenten auch nicht zur Ruhe kommen lassen werden!
Wir werden weiterhin auf die Straßen gehen und streiken! Von nun an auch in Lingen. Damit Menschenleben wichtiger als Gaskonzerne, Wälder wichtiger als ein Kohletagebau und gerechte Lebensverhältnisse wichtiger, als die Gewinne einiger Autofirmen werden. Wir sind für #PeopleNotProfit und damit gegen die Priorisierung von Kapitalinteressen über Menschenrechte. Wir tragen so viel Verantwortung gegenüber anderen Menschen. Wir tragen Verantwortung für das Wohl der zukünftigen Weltgemeinschaft. Die Zukunft blickt auf uns!
Ich bin müde. Ich bin traurig. Ich bin verzweifelt. Ich bin kraftlos. Und ich weiß ich bin nicht allein. Uns jagt eine Krise nach der nächsten. Ich stelle mir Fragen über die Zukunft. Werden wir das überstehen? Werden wir endlich gehört? Kann ich verantwortungsvoll Nachwuchs auf die Welt bringen? In einer Welt in, der es immer noch Menschen gibt, die über das Leben und den Tod anderer entscheiden. In einer Welt, in der Menschenrechte missachtet werden. In einer Welt, in der systematische Ungerechtigkeiten und Ungleichheiten existieren und akzeptiert werden. Das ist nicht die Welt, die ich mir für uns alle und unseren Kindern wünsche.
Ich möchte nicht schweigen. Ich möchte nichts ignorieren. Ich möchte Verantwortung übernehmen. Deswegen stehe ich heute hier. Und ich weiß, dass alle die heute hier in Lingen und auf der ganzen Welt sind und streiken ebenfalls Verantwortung übernehmen möchten! Danke, dass ihr hier seid und zeigt, dass wir alle verantwortlich dafür sind, was für eine Gesellschaft wir erschaffen wollen bzw. sein möchten. Eine Gesellschaft, von dessen Wohlstand alle profitieren und dessen Ökonomie sich stets ausrichtet an dem Gemeinwohl und nicht an der Profitmaximierung einiger weniger, die reich werden dadurch, dass sie auf Kosten anderer leben. Dass sie auf Kosten der Umwelt leben. Dass sie auf Kosten zukünftiger Generationen leben.
Es ist erschreckend, dass wir im Jahr 2022 immer noch für die Klimagerechtigkeit einstehen müssen. Aber viel erschreckender ist, dass wir nun auch für den Frieden einstehen müssen. Mitten in Europa herrscht Krieg. Seit 30 Tagen muss die ukrainische Bevölkerung um ihr Leben bangen. Sie fliehen und lassen ihre Heimat zurück. Warum hält Deutschland Putin nicht auf? Weil wir von einem Mann, der Menschenrechte, der Pressefreiheit, der Demokratie nicht kennt, abhängig sind. Das bedeutet, dass wir auf Kosten dieses Krieges Leben und es in Kauf nehmen.
Liebe Regierung, wollt ihr das wirklich? Wollt ihr wirklich innerhalb der EU weiterhin täglich Millionen von Euro für Öl, Kohle und Gas an einen Mann zahlen, der die Werte einer Demokratie mit Bomben beschmeißt? Wann versteht ihr, dass die Katastrophen nicht auf uns warten, sondern wir diejenigen sind, die diese ankurbeln? Ihr dürft keine halbherzigen Lösungen mehr bringen, nur damit ihr wieder in eure gemütlich Filterblase zurück könnt. Ihr müsst endlich verstehen, dass wir aus den fossilen Energien aussteigen müssen. Macht verdammt nochmal euren Job und zwar richtig!
Und weil wir Putin nicht unterstützen wollen, möchten wir Solidarität für die Menschen in der Ukraine, aber auch für die für den Frieden einstehende russische Zivilbevölkerung zeigen. Das möchten wir in Form einer Schweigeminute abhalten. Ihr seid alle herzlich dazu eingeladen diese mit uns nun zu vollziehen.

SCHWEIGEMINUTE

Wir möchten uns der Tradition des Nichthandelns nicht anschließen. Wir müssen jetzt im Sinne von Klimagerechtigkeit und Menschenrechten handeln. Im Sinne unserer Rechte auf eine Zukunft, in einer sicheren und intakten Welt. Überall wo wir können, müssen wir der Klimakrise Aufmerksamkeit schenken. Wir müssen Menschenrechtsverletzungen Aufmerksamkeit schenken und Konsequenzen fordern – so lange bis wir nicht mehr ignoriert werden. Wir brauchen das, jetzt!

Zum Schluss möchten wir uns nochmal bei euch allen bedanken, die heute nicht nur für die Klimagerechtigkeit, sondern auch für den Frieden eingestanden sind. Wir möchten euch ermutigen euch zu engagieren. Seit kurzem gibt es endlich eine Fridays for Future Ortsgruppe in Lingen. Damit wir hier ebenfalls laut sein können. Wir freuen uns natürlich immer über Unterstützung. Sei es durch Spenden oder durch persönliche Unterstützung in unserem Team. Wenn ihr also Interesse habt, euch bei FFF Lingen zu engagieren, damit weiterhin und mehr solcher Veranstaltungen hier vor Ort stattfinden können, dann meldet euch gerne bei uns. Sprecht uns gerne gleich direkt an oder folgt uns auf Instagram, dort findet ihr auch den Link zu unserer WhatsApp-Gruppe.
Stay safe und habt noch ein schönes Wochenende!"

    1. 0